Sexualität ist ein lebenslanger Lernprozess

An der Sexualität sind angeborene anatomische und physiologische Faktoren beteiligt. Wie wir sie erleben und was wir daraus machen, ist jedoch gelernt. So ist das Einströmen von Blut in die Geschlechtsorgane (Vasokongestion) ein unwillkürliches, reflektorisches Geschehen, welches durch Lernschritte dem Bewusstsein und der bewussten Einflussnahme zugänglich wird.

Wie funktioniert sexuelles Lernen?
Das sexuelle Lernen beginnt in frühester Kindheit. Das Geschlecht jedes gesunden Menschen ist ab Geburt voll Nervenendigungen, die stimuliert werden und zur sexuellen Erregung beisteuern können. Bis die Stimulation bewusst als erregend erlebt wird und willentlich herbei geführt werden kann, braucht es viele Wiederholungen. Und je nachdem, welche Rezeptoren auf welche Weise stimuliert werden, lernen Menschen ganz unterschiedliche Erregungstechniken und nehmen die sexuelle Erregung völlig unterschiedlich wahr. Dadurch verbinden sie auch unterschiedliche Bilder, Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse und Präferenzen mit der Sexualität.

Ausgehend von der Exploration des eigenen Geschlechts sowie von genitalen Spielen unter Gleichen und mit dem andern Geschlecht, entwickelt sich die Wahrnehmung der eigenen Geschlechterzugehörigkeit und der Geschlechterdifferenz. Die gleichzeitig ablaufende Sozialisation vermittelt die Begriffe von «öffentlich» und «privat», das heisst von Sexualität als Intimität mit sich und mit andern. Über Rollenspiele, Regelspiele und Initiationsspiele verbinden Kinder sexuelle Erregung mit dem Sozialisationsprozess, kommunikativen Fähigkeiten und emotionalen Intensitäten.

Mangelnde Förderung von Lernschritten
Wie jede Entwicklung verläuft auch die Sexualentwicklung wellenförmig und lebenslang über neue Entdeckungen und über das Festigen von bereits Gelerntem durch Wiederholen oder Zurückgreifen auf frühere Entwicklungsstufen. Körperliche Veränderungen in den verschiedenen Lebensphasen – etwa der «hormonelle Sturm», der die Pubertät einleitet – sowie Krankheiten und Behinderungen erfordern neue sexuelle Lernprozesse mit sich und anderen.

Keine menschliche Fähigkeit wird in ihrer Entwicklung von den Eltern und der Gesellschaft aber so wenig unterstützt, begleitet und verstanden wie die der Sexualität. Das sexuelle Lernen verläuft daher weitestgehend autodidaktisch und vielfach ohne Bewusstheit darüber, dass es sich dabei um Lernen handelt. Ebensowenig sind sich Menschen darüber bewusst, dass sie ihre Sexualität über neue Lernprozesse beeinflussen können, wenn sie an Grenzen stösst. 

Neue Lernschritte in der Sexualtherapie
In der Sichtweise des Sexocorporel-Konzepts hat jeder Mensch in seiner Sexualität Fähigkeiten und Ressourcen erworben. Sexuelle Probleme entstehen, wenn diese gelernten Fähigkeiten nur begrenzt an aktuelle Lebenssituationen oder Bedürfnisse angepasst werden können. Diese Grenzen sind weder krankhaft noch defizitär. Sie können durch neue Lernprozesse erweitert werden. Auf dieser Erkenntnis baut die Sexocorporel-Sexualtherapie auf.